Die Möbelindustrie und das Virus

Die Pandemie ist das beherrschende Thema in allen Medien. Uns hat interessiert, wie sich das Corona-Virus auf die Möbelbranche, und speziell auf den dazugehörigen Maschinenbau, auswirkt. Dazu haben wir Dominik Wolfschütz vom VDMA interviewt.

DIE PANDEMIE IST DAS BEHERRSCHENDE THEMA IN ALLEN MEDIEN. UNS HAT INTERESSIERT, WIE SICH DAS CORONA-VIRUS AUF DIE MÖBELBRANCHE, UND SPEZIELL AUF DEN DAZUGEHÖRIGEN MASCHINENBAU, AUSWIRKT. DAZU SPRACHEN WIR MIT DOMINIK WOLFSCHÜTZ VOM VDMA.

Reisebeschränkungen behindern die Maschinenbauer bei Montagen und Inbetriebnahmen von Maschinen und Anlagen außerhalb Deutschlands bzw. Österreichs. Diese verzögerten Abnahmen belasten die Betreiber und auch die Lieferanten finanziell erheblich. Zwar bieten einige Hersteller Online-Inbetriebnahmen von Maschinen und Anlagen an. Doch diese können die notwendigen Vorort-Termine nur teilweise ersetzen. Vor allem, weil die wichtige persönliche Begegnung fehlt.

Dominik Wolfschütz: Für die Ausrüster der Holz- und Möbelindustrie waren nach vorläufigen Zahlen bis auf China (Nr. 1) und Österreich (Nr. 3) alle Top-Märkte im Minus. Wir kommen allerdings von einem Rekordniveau im Jahr 2019. Zudem ist der Maschinenbau eine zyklische Branche, die gelernt hat, mit den Aufs und Abs gut auszukommen.

In Deutschland konnten nach Angaben des Hauptverbands der deutschen Holzindustrie (HDH) die Verluste des Frühjahres zum Jahresende fast wieder wettgemacht werden. Das Teilsegment Küche wird wohl mit Plusraten abschließen können. Hier befeuern die guten Zahlen den Investitionswillen der Hersteller. Neben den großen Playern beabsichtigen auch kleinere Nischenanbieter zu investieren. Mittelfristig erwarten wir in der Küche eine Steigerung der produzierten Stückzahlen um bis zu 30 % in den kommenden Jahren. Allerdings wird dieses Wachstum die Konsolidierung der Branche massiv beschleunigen – ganz unabhängig von Covid-19. Das gilt für Deutschland ebenso wie für Frankreich, Benelux etc., die Abnehmerländer der deutschen Küchenindustrie.

Büromöbelausstatter und Wohnmöbelhersteller verzeichnen ein leichtes Minus. Hier macht sich die Schließung des Handels deutlich bemerkbar. Insgesamt jedoch sorgt der gute Auftragseingang in den letzten Monaten des Jahres 2020 für vorsichtigen Optimismus in der Branche, die in großen Teilen auf die Öffnung des Handels angewiesen ist.

Bereits in den Jahren vor Corona gaben die Menschen mehr Geld für Möbel aus. Vor allem Hersteller von Küchen- und Wohnmöbeln profitierten davon. Stichwort Cocooning . Doch es besteht die Gefahr, dass sich das Konsumverhalten nach der Pandemie wieder ändert. Vielleicht ist dann die Sehnsucht nach persönlichen Kontakten und (Fern-)Reisen so groß, dass Investitionen in ein schönes Heim zumindest ein Stückweit an Bedeutung verlieren.

Hinsichtlich der Auftragslage ist Europa mit 60 Prozent der wichtigste Absatzmarkt für die deutschen und österreichischen Maschinenhersteller. In der DACH-Region liegen wir absolut im Plan, in einigen Segmenten sogar darüber. Allerdings laufen die Geschäfte insbesondere in den Ländern, die am meisten mit dem Virus zu kämpfen haben (IT, F, ES, PT) weiterhin schleppend.

International hat sich China hervorragend von dem Corona-bedingten Einbruch der Zahlen erholt. Hier wird in großem Maß in das Losgröße-1-Segment investiert, um den Heimatmarkt mit kundenindividuellen Möbeln versorgen zu können. Entsprechend wachsen einige Hersteller rasant.

Auch in den USA ist eine relativ stabile Investitionsneigung der Möbelindustrie sichtbar – vor allem bei den Cabinet-Herstellern. Ein Grund hierfür könnten die hohen Antidumping- und Subventionsausgleichszölle für chinesische Importe sein. Die Strafmaßnahmen steigern die Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Anbieter.

Die indirekten Auswirkungen der Pandemie – beispielsweise die weitere Abschwächung einzelner Währungen gegenüber dem Euro – trifft nicht nur die Maschinenbauer, sondern auch die exportorientierten Möbelhersteller. Das verteuert nicht nur unsere Lieferungen für die Kunden in den betroffenen Ländern (u.a. Türkei, Brasilien), sondern schwächt dort auch unsere Wettbewerbsfähigkeit.

Tischlern und Schreinern geht es in der Summe gut bis sehr gut. Ihre Auslastung ist wie im gesamten Handwerk sehr hoch – trotz Pandemie. Die gute Auftragslage führt zu einer größeren Investitionsbereitschaft in Maschinentechnik. Allerdings leiden die Betriebe unter dem Fachkräftemangel und insbesondere Messe- und Ladenbauer sowie Hotelausrüster sind extrem von der Pandemie betroffen. In diesem Segment gibt es durchaus Befürchtungen, dass einige Betriebe das Virus nicht überleben werden.

Und auch bei den gut ausgelasteten Schreinern gibt es Sorgen über die mittelfristigen Auswirkungen der Pandemie: Kürzung der staatlichen Ausgaben für Bauten sowie eine deutlich höhere Staatsverschuldung könnten zur Investitionszurückhaltung seitens der öffentlichen Hand führen. Zum anderen könnte sich auch der Strukturwandel in der Automobilindustrie negativ auswirken. Wenn hier Arbeitsplätze verloren gehen, fehlen dem Handwerk zahlungskräftige Kunden.

Für die Maschinenbauer besonders spannend: in Summe gibt es immer weniger Eigenfertiger. Zunehmend mehr Schreiner ordern vorgefertigte Teile bei spezialisierten Herstellern (z.B. Egger). Damit dürfte auf lange Sicht die Investitionsbereitschaft der kleineren Schreinereien für bestimmte Maschinentypen abnehmen. Dafür werden bei den Zulieferern die Anlagen immer komplexer, um jeden Kundenwunsch „Just in Time“ bedienen zu können. Eine spannende Herausforderung für den Maschinenbau.

 

Der Maschinenbau gewinnt neue Kunden. Auch IMA Schelling hat bereits den einen oder anderen Online-Hersteller ausgestattet. Zudem steigen immer mehr Möbelhersteller in den Onlinehandel ein. Wenn es dabei um kundenindividuelle Produkte geht, ist das eine große Chance für Maschinenbauer wie IMA Schelling, da sich die Komplexität der Anlagen erhöht.

Der Onlinehandel hat jedoch auch seine Grenzen: Das ganzheitliche Erleben mit allen fünf Sinnen ist nicht möglich. Somit behält der stationäre Handel auch weiterhin seine überragende Bedeutung – vor allem für hochpreisige und hochwertige Produkte.

Wir sehen bei unseren Kunden immer häufiger, dass sie sich in kleinere Softwareschmieden einkaufen. Mit dem auf diese Weise gesicherten AR-Know-how können sie ihren Kunden ganz neue Angebote machen. Zudem bietet das Erleben im virtuellen Raum vielen Möbel- und auch Fußbodenherstellern die Möglichkeit, sich einem globalen Publikum zu präsentieren. Auf diesem Weg lassen sich Kunden gewinnen, die andernfalls nicht so leicht zu erreichen wären.

Das Thema AR nimmt auch im Maschinenbau und damit bei den Ausrüstern der Möbelindustrie deutlich an Fahrt auf. Eine hohe Anlagenverfügbarkeit und die Minimierung der Stillstandzeiten sowie eine gleichbleibend hohe Qualität der zu produzierenden Möbel sind heute Standard. Daher rüstet der Maschinenbau in den Bereichen VR/AR, vorausschauende Wartung und Anlagensimulation auf, um so die Inbetriebnahme der Anlagen zu verkürzen und auch alternative Fertigungsmethoden eines Produktes zu testen. Auch das Thema Machine Learning treibt die Maschinenbauer um und wird in Teilen bereits erfolgreich umgesetzt.

Wir gehen davon aus, dass sich die Tendenzen der vergangenen Jahre durch die Pandemie verstärken bzw. beschleunigen. Die Zusammenlegungen in der Branche, aber auch bei den bereits stark konsolidierten Zulieferern werden weiter voranschreiten. Die finanziell solventen Unternehmen werden sich noch deutlicher absetzen können. Durch die beschleunigte Konsolidierung trennt sich die Spreu vom Weizen. Entweder man investiert, um technologisch und preislich mithalten zu können oder man findet eine lukrative Nische. Das gilt für die Möbelproduzenten ebenso wie für die Maschinenbauer. Entscheidend für ein wirtschaftliches Auskommen wird die Digitalisierung der Produktion und des gesamten organisatorischen und logistischen Ablaufs sein.

Zugleich wird die Individualisierung der Möbel zunehmen. Auch hier ist die Küche den anderen Möbelsegmenten heute bereits weit voraus. Diese werden nachziehen müssen. Insgesamt gesehen ist die Möbelbranche mit der zunehmenden Losgröße-1-Fertigung durchaus ein Technologievorreiter und Vorbild für andere Industrien. In der zentraleuropäischen Türenindustrie erleben wir gerade eine ähnliche technologische Entwicklung.

Der Holzbearbeitungsmaschinenbau, denn der Holzbau erlebt ein Comeback. Er boomt global. Wenn die Pandemie überstanden ist, werden wieder verstärkt Themen wie der CO2-Footprint und die Klimakrise auf der Agenda stehen. Davon werden Holz- und auch Möbelindustrie profitieren, denn die Fertighausquote in Deutschland steigt kontinuierlich und der mehrgeschossige Holzbau schafft den Durchbruch. Die Diskriminierung des Werkstoffs Holz wird in den Bauordnungen langsam aber sicher aufgehoben. Die Politik hat endlich erkannt, dass der Werkstoff Holz Teil der Lösung ist und einen wertvollen Beitrag zum Erreichen des GreenDeals leisten kann.

In Summe sehen wir uns also gut gerüstet für die Zukunft, denn wir Maschinenbauer werden von den verstärkten Investitionen in neue Kapazitäten z.B. für Brettsperrholz oder den Ausbau der Fertighausindustrie profitieren.

Die endgültigen Zahlen für 2020 liegen noch nicht vor, aber wir gehen von einem Umsatzminus von rund 15% aus. Die Rückschläge durch den Frühjahrslockdown konnten wir über das Jahr hin nicht wettmachen. In den letzten Monaten hat sich die Auftragslage wieder etwas aufgehellt. Für 2021 sind wir zuversichtlich, das Schlimmste hinter uns gelassen zu haben, und gehen von einem moderaten Wachstum von drei Prozent aus.

Allerdings tun sich die Kunden bei Entscheidungen für Großprojekte noch schwer. Hier hinkt die Branche deutlich hinter den Erwartungen zurück. Im Standard- und Einzelmaschinengeschäft läuft das Geschäft relativ gut. Bei den Großprojekten ist wie bereits erwähnt die Küchenindustrie in Zentraleuropa eine positive Ausnahme, aber es gibt auch vereinzelte größere Investitionen aus dem Büromöbelsegment. Neben diesen verlässlichen Kundengruppen investieren aktuell Sägeindustrie und Massivholz-Weiterverarbeiter stark. Hier wirkt der Boom beim globalen mehrgeschossigen Holzhausbau. Insgesamt läuft die Bauindustrie erstaunlich stabil. Das sorgt für eine Sonderkonjunktur bei den Investitionen der Türen- und Fensterindustrie.

Sorgenkind ist weiterhin der Großanlagenbau im Holzwerkstoffbereich. Allerdings erschließt sich das Segment gerade den nordafrikanischen Markt. Sicherlich auch ein Zukunftsmarkt für die Möbelindustrie mit seiner jungen Bevölkerung und dem hohen Wohnungsbedarf.

Cocooning

Der aus dem Englischen stammende Begriff bezeichnet eigentlich die Verpuppung von Insekten, das Einspinnen in einen Kokon.
Heute steht er für eine Tendenz in der Bevölkerung, sich in komplizierten, unüberschaubaren Situationen und Krisenzeiten vermehrt in die eigenen vier Wände zurückzuziehen.

Augmented Reality (AR)

AR ist die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Darunter wird vor allem die visuelle Darstellung von Informationen, d.h. die Überlagerung von Echtzeitvideos oder -bildern mit computergenerierten Zusatzinformationen oder die Einblendung virtueller Objekte in Aufnahmen realer Umgebungen verstanden.

Machine Learning

Machine Learning bzw. maschinelles Lernen gehört zum großen Komplex der künstlichen Intelligenz. Mithilfe von Algorithmen lernen IT-Systeme Muster und Gesetzmäßigkeiten in vorhandenen Datenbeständen zu erkennen und auf dieser Basis eigenständig Lösungen für Probleme zu entwickeln.

GreenDeal

Der Green Deal ist ein 2019 von der EU vorgestelltes Konzept zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2050.
Ab dann sollen die Netto-Emissionen an Treibhausgasen null betragen.

SOLUTION - DAS ZUKUNFTSMAGAZIN


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