Was Roboter alles können. Und was nicht

Roboter nehmen immer mehr Raum in der Produktion ein – auch in der Möbelindustrie.
Kommt mit ihnen eine ganz neue Art der Fertigung?

Der Roboter entnimmt die Platte dem Hordenwagen und legt sie auf das Transportband. Von dort fährt sie zur automatischen Bohrmaschine, erhält die notwendigen Bohrungen und kommt zurück zum Roboter, der sie an der korrekten Stelle im Sortierregal deponiert. Für seine Kunden hat IMA Schelling am Standort in Lübbecke einen Roboterversuchsstand installiert. Anhand eines 6-Achs-Roboters, der sich auf einer linearen Verfahrachse bewegt, können dort Szenarien zum Handling mit Robotern durchgespielt, Materialflüsse simuliert und die Taktzeiten einzelner Prozesse vorbestimmt werden.

Die Zahl der weltweit installierten Industrieroboter hat sich, Angaben der International Federation of Robotics (IFR) zufolge, zwischen 2010 und 2019 verdreifacht, etwa drei Millionen sind es derzeit weltweit.

Auch in der Möbelindustrie werden Roboter immer wichtiger. „Im Jahr 2013 haben wir die ersten Anwendungen auf Messen vorgestellt“, erklärt Thomas Herold, Head of Development Handling and Transport. „Heute richten wir mit unserem Technologiepartner ABB bei unseren Kunden bis zu 30 Roboter-Anwendungen pro Jahr ein.“ Tendenz weiter steigend.

DREI ARTEN VON AUFGABEN


Warum das so ist? „Klassischerweise übernehmen Roboter drei Arten von Aufgaben“, erklärt Jan Frederik Bode, Product Manager Robotics bei IMA Schelling, „gefährliche, unergonomische und monotone.“

Und von diesen gebe es in der Möbelproduktion einige. „Denken Sie nur an Platten, die 50 oder 100 Kilogramm wiegen!“ Diese seien für einen menschlichen Mitarbeiter nicht nur mühsam zu tragen. Auch würden die Auflagen, wieviel Gewicht Mitarbeiter heben dürfen, immer weiter verschärft, so Bode.

„Der Roboter transportiert solche schweren Platten problemlos in gleichbleibender Qualität über einen langen Zeitraum. Und er dokumentiert darüber hinaus noch exakt, wo er sie abgelegt hat. Stichwort: Prozesskontrolle.“ 

AUCH FÜR LOSGRÖSSE 1


Handling-Roboter verkürzen die Durchlaufzeiten und erhöhen damit die Effizienz und die Zuverlässigkeit bei Lieferterminen. Die Einbindung der Roboter ins Fertigungsleitsystem hilft, die Vollständigkeit von Lieferungen zu gewährleisten. Auch beim derzeit steigenden Individualisierungsgrad in der Möbelbranche bringen Roboter Vorteile und helfen, die Wirtschaftlichkeit aufrechtzuerhalten. Eine Losgröße-1-Produktion ist ohne Automatisierung kaum zu leisten. „Roboter ermöglichen eine mannlose Produktion – und das 24/7 und in stets gleichbleibender Qualität“, betont Bode. 

Allerdings dürfe man nicht Automatisierung und den Einsatz von Robotern gleichsetzen, betont Herold: „Wir haben viele andere Technologien, mit denen wir die Automatisierung vorantreiben können, wenn vielleicht auch nicht so komfortabel und flexibel.“

ZU ANFANG INVESTIEREN


Verfügbarkeit, Leistung und Qualität – das sind die entscheidenden Parameter der industriellen Produktion. Und indem sie Verbesserungen bei allen dreien ermöglichen, erhöhen Roboter auch die Gesamtanlageneffektivität (GAE) beziehungsweise Overall Equipment Effectiveness (OEE), die entscheidende Kennzahl, um die Wertschöpfung einer Produktion zu beurteilen.

Bieten Roboter also nur Vorteile? Nicht uneingeschränkt. „Zunächst braucht es eine Anfangsinvestition“, betont Experte Jan Frederik Bode. Und zwar nicht nur finanziell, sondern auch vom Know-how her. Die Mitarbeiter müssen für den Umgang mit den Robotern geschult, die Roboter in das existierende Produktionssystem implementiert werden. Zudem müssen konsistente Datenstrukturen vorhanden sein. Nur so ist gewährleistet, dass der Roboter die Information hat, welches Teil gerade vor ihm liegt und was er damit tun soll.

Auch im Betrieb der Automatisierungseinheiten könne es Probleme geben. „Roboter stoßen an ihre Grenzen, wenn die Reaktion auf etwas Unerwartetes nötig ist“, betont Thomas Herold. Schiefe Stapel oder undefinierte Teilelagen beispielsweise können zwar via Kameras und Sensorik erkannt werden, jedoch oft nicht prozesssicher weiterverarbeitet werden. 
 

EIN JOBKILLER?


Roboter vernichten also wohl kaum menschliche Arbeitsplätze. Zum einen warten in der Möbelherstellung zu viele individuelle Herausforderungen, die die Kreativität und Spontanität eines menschlichen Mitarbeiters brauchen. Zum anderen sprechen auch die volkswirtschaftlichen Fakten dagegen. Berechnungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zufolge sind durch Digitalisierung und Robotik zwischen 1999 und 2010 1,6 Millionen Jobs in Europa weggefallen, gleichzeitig entstanden aber auch 3 Millionen neue.

Und wie sieht die Zukunft der Robotik in der Möbelindustrie aus? Mehrere Entwicklungslinien zeichnen sich ab. Nach dem Roboter in der Produktion schon weit verbreitet sind, bietet sich als nächstes Einsatzfeld die Logistik an. Auch die Roboter selbst werden sich weiterentwickeln. Zum einen sicherlich noch weiter in Richtung kollaborativer Roboter, sogenannter Cobots, die direkt mit den Menschen zusammenarbeiten. Zum anderen könnten Roboter zukünftig noch verstärkter mit intelligenter Sensorik, komplexer Bildverarbeitungstechnologie und künstlicher Intelligenz ausgestattet werden. Damit könnten die Systeme dann auch trainieren, auf unerwartete Ereignisse angemessen zu reagieren.
 

SOLUTION - DAS ZUKUNFTSMAGAZIN


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